BAGPVA-Stellungnahme Referententwurf KHVVG

Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychosoziale Versorgung im Akutkrankenhaus (BAG PVA) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zum Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus und zur Reform der Vergütungsstrukturen (Krankenhausversorgungsgesetz – KHVVG) vom 15.04.2024

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Die BAG PVA begrüßt ausdrücklich die Initiative des Bundesgesundheitsministeriums zu einer Verbesserung der Versorgungsqualität in Krankenhäusern und bedankt sich für die Möglichkeit zur Beteiligung im Stellungnahmeverfahren zum Referentenentwurf. Die BAG PVA vertritt mit verschiedenen dafür qualifizierten Berufsgruppen die Berücksichtigung psychosozialer Aspekte in der Versorgung im Akutkrankenhaus jenseits stationärer Psychiatrie/Psychosomatik. In den folgenden Ausführungen beschränkt sich die BAG PVA ausschließlich auf die im Referentenentwurf vorzunehmenden Änderungen zur Sicherstellung der Einbeziehung eben dieser psychosozialen Belange in der Krankenhausbehandlung.
Schwere und chronische körperliche Erkrankungen sind regelhaft mit hohen psychischen und sozialen Belastungen verbunden. Werden diese nicht frühzeitig fachgerecht identifiziert und behandelt, können sie z. B. durch vermeidbare Folgeerkrankungen, Chronifizierungen oder lang andauernde Arbeitsunfähigkeit zu hohen Folgekosten für das Gesundheitssystem führen. Frühzeitige Unterstützung, Intervention und Beratung fördert den Genesungsprozess und befähigt die betreffenden Patient*innen sowie deren An- und Zugehörige, neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Die fachgerechte psychosoziale Unterstützung in somatisch zentrierten Abteilungen der Krankenhäuser und den dazu geplanten sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen ist in Bezug auf weitere Folgeerkrankungen und Störungen ebenfalls präventiv und somit kostensenkend wirksam. Der Referentenentwurf deckt in der bisherigen Fassung leider keine psychosozialen Aspekte ab, gefährdet damit die Patient*innensicherheit sowie den Behandlungserfolg und versäumt die erforderliche Zusammenführung von Krankheit und Gesundheit mit der psychosozialen Dimension.

Zu den einzelnen Paragraphen schlägt die BAG-PVA folgende Änderungen vor:

§ 115
Unter § 115h wird lediglich von einer „Medizinisch-pflegerischen Versorgung durch sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen“ gesprochen; damit werden für den Bereich der somatisch orientierten Akutversorgung die Sozialarbeiter*innen/Sozialpädagog*innen, die fachpsychologische/fachpsychotherapeutische Expertise und die für komplex Erkrankte notwendigen qualifizierten Künstlerischen Therapien ausgeklammert. Das widerspricht nicht nur der mehrdimensionalen Gesundheitsdefinition der WHO mit dem bio-psycho-sozialen Gesundheitsmodell (bzw. dem bio-psycho-sozio-spirituellen Modell der Palliativversorgung) sondern auch national und/oder bundesweit etablierten Versorgungszielen und wissenschaftlichen Behandlungsleitlinien.

Als Beispiel soll hier die onkologische Versorgung über sämtliche dafür relevante Leistungsbereiche genannt werden: die Ziele des Nationalen Krebsplans (2008, Handlungsfeld 2, Ziel 9) sowie die wissenschaftlich fundierten Empfehlungen der S3-Leitlinien Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatient*innen (aktualisiert 2023) oder die S3 Leitlinie Palliativmedizin (aktualisiert und erweitert 2019) sowie die Zertifizierung von Krebs-Organzentren, onkologischen Zentren und der onkologischen Spitzenzentren werden nicht berücksichtigt. Diese betrachten nämlich die Erhebung der psychischen, sozialen und spirituellen Ressourcen und Belastungen sowie die am Bedarf orientierte psychoonkologische/palliativpsychologische Diagnostik, Unterstützung und Therapie bei jeder/m onkologischen Patient*in als selbstverständlichen Bestandteil zeitgemäßer onkologischer Versorgung.

Die BAG PVA schlägt deshalb für die im Referentenentwurf vorgesehenen Änderungen des § 115h die Verwendung des Begriffs der „Medizinisch-pflegerischen-psychosozialen Versorgung“ für die Benennung des Paragraphen und die einzelnen Absätze 1, 2, 3 und 4 vor. Im Absatz 1 ist darüber hinaus zusätzlich der psychosoziale Bedarf ergänzend aufzunehmen zum pflegerischen Bedarf.


§ 116a

Dementsprechend bedarf es aus unserer Sicht beim § 116a neben der vertragsärztlichen Versorgung in Absatz 1 und 2 für die somatisch orientierte Akutmedizin auch zwingend die Ergänzung fachspezifischer vertragspsychotherapeutischer Versorgung (d.h. Psychoonkologie, Psychodiabetologie, Psychokardiologie, Palliativpsychologie, Psychotherapie geriatrischer Patient*innen) und neuropsychologischer Versorgung.

§ 135e
Beim §135e schlägt die BAG PVA für den letzten Satz Absatz 1 folgende Ergänzung vor „… und für Patienten sicheren medizinischen und psychosozialen Versorgung beitragen.“
Zudem irritiert uns, dass bei der Zusammensetzung des Ausschusses unter Absatz 3 Satz 5 neben der Krankenhausgesellschaft nur Vertreter*innen der Bundesärztekammer und Berufsorganisationen der Pflegeberufe genannt werden. Die psychosozialen Berufsgruppen der Sozialen Arbeit, der qualifizierten Fachpsychologie/Fachpsychotherapie und der Künstlerischen Therapien in der Versorgung des Akutkrankenhauses sind nicht vertreten. Die Bundespsychotherapeutenkammer kann als Interessensvertreter*in diese Bereiche nicht adäquat abdecken und reicht als zusätzliche Berücksichtigung alleine eindeutig nicht aus. Ergänzt werden müssen demzufolge „Berufsorganisationen und Fachverbände psychosozialer Berufsgruppen“. Die Einbindung fachlicher Expertise aus dem Bereich psychosozialer Versorgung im Akutkrankenhaus für den weiteren Prozess stellt aus unserer Sicht eine dringende Notwendigkeit dar. Wir als BAG-PVA bieten hier als der dafür spezialisierte Interessensverbund unser Mitwirken an.

Unter Absatz 4 des § 135e sei auf den beigefügten Anhang verwiesen: Der als Referenz geltende Krankenhausplan NRW wurde erkennbar ohne Expertise von Vertreter*innen des psychosozialen
Bereichs der somatisch zentrierten Akutversorgung in Krankenhäusern gestaltet. Anders lassen sich die dort zu findenden begrifflichen Inkonsistenzen oder fehlende Erwähnung trotz bestehender Leitlinien, Zertifizierungskriterien, OPS-Ziffern, DMP-Programmen oder dem Nationalen Krebsplan nicht erklären. Das betrifft neben den Leistungsbereichen Geriatrie oder Neurologie sämtliche Bereiche onkologischer Versorgung inkl. der Leistungsbereiche operativer, spezifisch medikamentöser und strahlenmedizinischer Versorgung, aber auch die Kardiologie, Palliativmedizin, Diabetologie und Transplantationsmedizin.

Für den Krankenhausplan NRW als Referenz der geplanten Krankenhausreform braucht es in der psychosozialen Versorgung jenseits der Leistungsbereiche Psychiatrie und Psychosomatik:

  1. die Verwendung klarer und eindeutiger fundierter Begrifflichkeiten fachpsychologischer/fachpsychotherapeutischer (ärztlich und psychologisch) und/oder sozialarbeiterischer/sozialpädagogischer Qualifizierung
  2. Orientierung an vorhandenen Qualitätskriterien wie S3-Leitlinien, Zertifizierungskriterien, OPS-Komplexziffern und Strukturempfehlungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften.

Im Rahmen der Definition der Qualitätskriterien in Krankenhäusern und der sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen braucht es

  • die feste Verankerung von Sozialarbeiter*innen/Sozialpädagog*innen2 als grundsätzliches Qualitätsmerkmal aller Leistungsgruppen und der sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen (siehe Qualifikationsrahmen Soziale Arbeit).
  • die Verankerung fachpsychologischer/fachpsychotherapeutischer Expertise für sämtliche Leistungsgruppen der Akutkrankenhäuser, in denen für Patient*innen (und deren An- und Zugehörigen) entweder ein hohes Potential für psychische Traumatisierung oder nachweislich eine hohe psychische Belastung durch somatische Erkrankung besteht.
  • die Verankerung Künstlerischer Therapien mindestens als Auswahlkriterium in den Leistungsbereichen der Somatik bei komplexen Behandlungen mit hohem Leidensdruck.

Wir als BAGPVA stehen für Rückfragen zur Verfügung und bringen uns gerne mit unserer spezifischen fachlichen Qualifikation in den weiteren Prozess ein.

Bundesarbeitsgemeinschaft für Psychosoziale Versorgung im Akutkrankenhaus
30. April 2024
Kontakt: info@bag-pva.de
www.bagpva.de

 

Bundesarbeitsgemeinschaft Psychosoziale Versorgung im Akutkrankenhaus:

  • AG Psychoonkologie der Deutschen Krebsgesellschaft (PSO-AG)
  • Berufsverband für Anthroposophische Kunsttherapie e. V. (BVAKT)
  • Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien e. V. (BAG KT)
  • Deutsche Arbeitsgemeinschaft für psychosoziale Onkologie (dapo e. V.)
  • Deutsche Diabetes-Gesellschaft e. V. (DDG) / AG Psychologie und Verhaltensmedizin
  • Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT e. V.)
  • Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V. (DGP)
  • Deutsche Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e. V. (DVSG)
  • Fachgruppe Klinische Psychologie im Allgemeinkrankenhaus des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP e. V.)
  • Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft in der Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie (PSAPOH)
  • Gesellschaft für Neuropsychologie e. V. (GNP)
  • Verband Anthroposophischer Kliniken e. V.
  • Verband Psychologischer PsychotherapeutInnen (VPP im BDP e. V.)

 


Anhang:
Spezifische Hinweise für die Verbesserung der Qualitätskriterien der Leistungsgruppen einzelner schon benannter oder noch fehlender Leistungsbereiche:


Einleitung
Das bio-psycho-soziale Gesundheitsmodell der WHO (in der Hospiz- und Palliativversorgung ist es das bio-psycho-sozio-spirituelle Modell mit vier Säulen) als Grundlage einer ganzheitlichen Gesundheitsversorgung kann nicht lediglich bi-professionell durch Ärzt*innen und Pflege geleistet werden. Es braucht dafür die fachliche Expertise der Berufsgruppen des psychosozialen Felds.

Allerdings sind die Begriffe „Psychosozialdienst“ oder „Psychosozialer Dienst“ für die Erstellung/Festlegung von Qualitätskriterien für die KHVVG irreführend und wenig spezifisch. Die entsprechenden fachlichen Expertisen der erforderlichen Berufsgruppen sind obligatorisch zu benennen als Strukturmerkmal. Deshalb ist von Sozialarbeit/Sozialpädagogik oder dem jeweiligen Begriff fachpsychologischer/-psychotherapeutischer Expertise zu sprechen. Auch ist die Expertise Künstlerischer Therapien gesondert und nicht unter dem unspezifischen Sammelbegriff zu nennen.

Die Vorhaltung der sozialarbeiterischen/sozialpädagogischen Expertise als Strukturmerkmal für Krankenhäuser sollte sich in den jeweiligen Leistungsbereichen und über diese hinaus in Bezug auf Stellenanteile analog zu den Empfehlungen der für diese Berufsgruppe vorhandenen Fachgesellschaften verhalten. Das Leistungsspektrum der Sozialen Arbeit geht deutlich über das reine Entlassmanagement hinaus und trägt mit den beraterischen, kriseninterventorischen und koordinierenden Kompetenzen zur Reduktion sozialer und daraus resultierender psychischer Belastungen aber auch insgesamt der Sicherstellung des Behandlungserfolges bei. Mit den Sozialgesetzbuchübergreifenden Kenntnissen trägt die Soziale Arbeit zur Erschließung von Leistungen zur Förderung der Teilhabe der Patient*innen bei. Ein Überblick zur fallbezogenen Arbeit leistet die Produkt- und Leistungsbeschreibung der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG 2019). Nicht nur bei den im Folgenden ausgewählten Leistungsbereichen/-gruppen, sondern in allen ist die Expertise Sozialer Arbeit als erforderliches Qualitätsmerkmal entsprechend aufzuführen.

Fachpsychologische/-psychotherapeutische Expertise (durch qualifizierte Psycholog*innen, ärztliche und psychologische Psychotherapeut*innen, Fachärzt*innen für Psychiatrie oder Psychosomatik) existiert für viele der folgenden Leistungsbereiche und folgt dort entsprechend der Spezialisierung eigenen Begrifflichkeiten. Die Versorgung komplex somatisch erkrankter Menschen bedarf dieser fachlichen Expertise. Eine rein konsiliarische Versorgung durch nicht für das jeweilige Versorgungsgebiet spezialisierte Mitarbeiter*innen einer psychiatrischen/psychosomatischen Klinik ist kein adäquater Ersatz und nur für Notfälle in Dienstzeiten und am Wochenende akzeptabel. Da gerade hier in dem Referentenentwurf zum KHVVG zugrundeliegende Krankenhausplan NRW sehr unterschiedliche Formulierungen oder gar Leerstellen existieren, wird sich der folgende Blick auf die Leistungsbereiche vor allem auf diese Expertise und die der Künstlerischen Therapien beziehen.


Leistungsbereiche im Einzelnen

Die Hinweise der BAG-PVA beziehen sich auf folgende Leistungsbereiche (LG nach Referentenentwurf KHVVG):

(1) Kardiologische Versorgung / Herzzentren (LG 10,11,12,13, 21,22)
(2) Geriatrie (LG 56)
(3) Geburtshilfe (LG 42,43,44,45)
(4) Onkologische Patient*innenversorgung (LG 4, 5, 6, 8, 9, 29, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 40, 41,
48, 49, 50, 57)
(5) Palliativmedizin (LG 57)
(6) Neurologie (LG 53, 54, 55)
(7) Diabetologie (LG 2)
(8) Intensivmedizin (LG 64)
(9) Transplantationszentren (LG 58, 59, 60, 61, 62, 63)
(10) Rheumatologie (LG 7)
(11) Kinder- und Jugendmedizin (LG 47, 15)


(1) Im Bereich der gesamten LG kardiologischer Versorgung inklusive der Herzzentren (G-BA- Vorgaben) gibt es keinen Hinweis auf eine irgend geartete psychosoziale Versorgung/Unterstützung, weder durch Psycholog*innen noch Sozialarbeiter*innen/- pädagog*innen oder spezialisierten Therapien. Lediglich bei Kinderherzchirurgie wird über die erwähnte GB-A-Richtlinie ein*e psychosoziale Mitarbeiter*in als Merkmal genannt. Dabei existiert die Qualifikation der Psychokardiologischen Grundversorgung mit 80UE, die für das Feld spezifisch vorbereitet und qualifiziert. Herzzentren müssen psychokardiologische Expertise teamintegriert vorhalten. Für die allgemeine kardiologische Versorgung sollte eine möglichst klinikinterne Kooperation mit psychosomatischer, psychologischer oder psychotherapeutischer Expertise vorliegen und gelebt werden.

(2) LB Geriatrie: psychologische oder psychotherapeutische Expertise werden nicht genannt, obwohl sie als Teil der OPS für die geriatrische frührehabilitative sowie die teilstationäre geriatrische Komplexbehandlung fest benannt sind und sogar als Auswahlkriterium teamintegriert sein können. Multiprofessionelle Fallkonferenzen als Strukturmerkmal alleine sorgen nicht für eine tatsächlich durchgeführte multiprofessionelle Versorgung. Psycholog*innen/Psychotherapeut*innen müssen als festes Qualitätsmerkmal genannt werden und sollten teamintegriert sein. Zudem sollen Künstlerische Therapien einen festen Bestandteil demenzsensitiver Versorgungskonzepte darstellen.

(3) LB Geburtshilfe/Neonatologie: jenseits der Perinatalzentren Level 1 und 2 des LB Neonatologie fehlt im Bereich jegliche psychologische/psychotherapeutische Unterstützung.
Gerade angesichts der potentiell hohen psychischen Belastung rund um stille oder anonyme Geburten braucht es auch für den LB Geburtshilfe mindestens eine werktäglich verfügbare Kooperation mit psychologisch/psychotherapeutisch qualifizierten Fachkräften. Zudem sollte für Perinatalzentren Level 1 explizit die psychologische/psychotherapeutische Expertise genannt werden und nicht der weit gefächerte Begriff „Psychosoziale Fachkraft“. Mindestens für das Level 1 muss zusätzlich der Zusatz „teamintegriert“ hinzugefügt werden: Liaisondienst bringt eine deutlich andere Qualität der Versorgung mit sich als lediglich ein Konsiliardienst.

(4) Sämtliche LB/LG onkologischer Versorgung: dieser Bereich umfasst explizit nicht nur internistisch- onkologische LB, sondern auch alle LB, in denen onkologische Patient*innen operativ, spezifisch medikamentös oder strahlenmedizinisch behandelt werden. Hier werden Begrifflichkeiten in Bezug auf psychoonkologische Expertise oft inkonsistent oder missverständlich verwendet oder die fachliche Expertise gar nicht berücksichtigt.

Der Nationale Krebsplan (2008, Handlungsfeld 2, Ziel 9), die S3-Leitlinie Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatient*innen (aktualisiert 2023) und die Zertifizierung von Krebs-Organzentren, onkologischen Zentren und der onkologischen Spitzenzentren betrachten die Erhebung der psychosozialen Belastung und die am Bedarf orientierte psychoonkologische Diagnostik, Unterstützung und Therapie bei jeder/m onkologischen Patient*in als selbstverständlichen Bestandteil zeitgemäßer onkologischer Versorgung. Die notwendigen Personalressourcen (Quantität und Qualifikation) sind ebenfalls dezidiert beschrieben. In den Erhebungsbögen der zertifizierten Zentren werden explizit Psychoonkolog*innen (z.B. ärztliche und psychologische Psychotherapeut*innnen, Fachärzt*innen für Psychosomatische Medizin und Fachärzt*innen für Psychiatrie) als fester Bestandteil der Behandlung gefordert. Deshalb müssen zur Sicherstellung der Qualität in allen Leistungsgruppen, in denen es (ausschließlich oder unter anderen) um die Versorgung onkologischer Patient*innen geht, Psychoonkolog*innen als Qualitätskriterium aufgenommen werden.

Künstlerische Therapien sollen in der Behandlung onkologisch erkrankter Menschen analog der Empfehlungen der S3-Leitlinie Psychoonkologie als Auswahlkriterium genannt werden.

(5) LB Palliativmedizin: Bei den Qualitätskriterien für die LG Palliativmedizin wird der undefinierte Begriff Psychosozialdienst als Mindestmerkmal genannt, sowie die Kooperation mit der LB Psychosomatik, Psychiatrie, Psychotherapie. Dabei stellt die palliativpsychologische und/oder psychoonkologische Versorgung der betroffenen Patient*innen und deren An- und Zugehörigen eine Spezialisierung dar, die nicht Bestandteil des Psychologiestudiums oder der Psychotherapieausbildung ist. Statt des Begriffs „Psychosozialdienst“ sollte Palliativpsychologie/Psychoonkologie als festes Qualitätskriterium genannt werden, das optimalerweise teamintegriert oder bei vorhandener fachlicher Expertise in ausreichender, Zertifizierungskriterien (DGP oder Onkozert) entsprechenden Stundenzahl auch konsiliarisch erfolgen kann. Die Kooperation mit den LB Psychiatrie oder Psychosomatik sollte sich auf Notfälle oder die Fachgebiete betreffenden komplexen Fragen konzentrieren, die durch die oben erläuterte Versorgung nicht abgedeckt werden kann. Künstlerische Therapien sollen in der Behandlung onkologisch erkrankter Menschen analog der Empfehlungen der S3-Leitlinie Palliativmedizin für Menschen mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung und den entsprechenden OPS- Abrechnungsziffern als Auswahlkriterium genannt werden.

(6) LB Neurologie: Neuropsychologie muss integraler Bestandteil jeglicher stationärer neurologischer Versorgungseinheiten im Akutkrankenhaus werden. Als eigenständige OPS-Ziffer ist sie zwar kodierbar, wird aber im Leistungskatalog jenseits der Komplexbehandlungsziffer der Neuro- Frühreha nicht genannt. Dabei ist die Expertise von facharztäquivalent qualifizierten Neuropsycholog*innen auch übergreifend für LB wie z.B. Geriatrie relevant und unverzichtbar. Im Idealfall ist Neuropsychologie teamintegriert in die neurologische stationäre Versorgung eingebunden, sie soll zu den festen Strukturkriterien gehören und kann nicht durch Kooperation mit den LB Psychiatrie oder Psychosomatik ersetzt werden.

(7) LB Diabetologie: In der qualifiziert-stationären Versorgung von Menschen mit Diabetes erfüllt die psychodiabetologische Versorgung eine zentrale Funktion. Im Einweisungskorridor der DMP zu Diabetes sind psychische und soziale Belastungen/ Störungen oft ein Kriterium im Übergang von der ambulanten zur qualifiziert stationären Intervention. Die interdisziplinäre Versorgung bezieht sich auf evidenzbasierte und vielseitig konsensuierte Behandlundsstandards (NAVL T2D, S3- Leitlinien DDG, aktuelle Praxis- Empfehlung Psychosoziales DDG). Die Psychodiabetologie ist in der Weiterbildungsordnung der Bundestherapeutenkammer als Weiterbildung für „Spezielle Psychotherapie“ verortet. In anerkannten Zertifizierungssystemen (Excellenz-Zentrum DDG) ist die strukturelle personale Ausstattung, sowie eine belastbar- organisierte Versorgungspraxis, bezüglich psychosozialer und edukativer Interventionen fest verortet. Diese, in langjähriger Praxis etablierte, Versorgungspraxis muss in dem LB Diabetologie als festes Strukturkriterium mindestens in Kooperation etabliert werden.

(8) Erfreulicherweise ist für Intensivmedizinische Zentren inzwischen die Vorhaltung werktäglicher psychologischer/psychotherapeutischer Versorgung anhand der fachgesellschaftlichen Strukturempfehlungen und den GBA-Empfehlungen Teil des LBs, allerdings profitieren sowohl Patient*innen als auch die An- und Zugehörigen deutlich mehr von Liaisondiensten im Gegensatz zu konsiliarischen Leistungen. In diesem Feld etabliert sich aktuell gerade eine fachspezifische Spezialisierung psychologischer und psychotherapeutischer Fachkräfte, welche nicht nur in der COVID-19-Pandemie ihre Daseinsberechtigung in dem somatischen LB mit dem höchsten Potential psychischer Traumata gezeigt hat.

(9) LB Transplantation: „Obwohl der Erfolg einer Organtransplantation maßgeblich von der psychischen Verfassung und von der Compliance der Patient*innen beeinflusst wird, wird diesen Aspekten in der Transplantationsmedizin immer noch zu wenig Beachtung geschenkt.“ (Sonnenmoser M (2011), Organtransplantationen: Die Psyche muss mitspielen. Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 6 | Juni 2011, S.281. Seitdem hat sich leider wenig geändert, was sich auch in den Qualitätskriterien der LB durch Abwesenheit jeglicher psychologischer/ psychotherapeutischer Expertise spiegelt. Effektive Transplantationsmedizin braucht als Strukturmerkmal qualifizierte psychologische/psychotherapeutische Unterstützung.

(10) LB Rheumatologie: Schmerztherapeutische Kompetenz am Standort beinhaltet nicht notwendigerweise schmerzpsychologische oder schmerzpsychotherapeutische Kompetenz. Psychologische/psychotherapeutische Ansätze gehen in der komplexen Schmerzbehandlung deutlich über die Einstellung auf wirksame Schmerzmedikamente hinaus (siehe z.B. das Konzept
„Total Pain“ aus der Palliativmedizin, aber auch entsprechende Leitlinien). Insofern sollte als Strukturmerkmal mindestens psychologische/psychotherapeutische Expertise konsiliarisch aus dem Haus zur Verfügung stehen.

(11) LB Kinder- und Jugendmedizin, Spezielle Kinder- und Jugendmedizin, Kinder- und Jugendchirurgie: Insbesondere bei Kliniken mit speziellen pädiatrischen Zentren (z.B. Diabetologie, Epilepsie und Neuropädiatrie, Kindeschutz) bedarf es werktäglich verfügbarer psychologischer/psychotherapeutischer Expertise, um psychische Krisenintervention sowie präventive Arbeit zur Krankheitsbewältigung und zur Förderung der Patient*innensicherheit der Kinder und Ihrer An- und Zugehörigen zu ermöglichen. Auch im Falle einer umfangreicheren Zusammenarbeit und Vernetzung mit weiteren Akteur*innen des Sozial- oder Bildungswesens sind die entsprechenden Berufsgruppen der Psychologie und der Sozialen Arbeit obligatorisch vorzusehen.