Situation der Künstlerischen Therapien
Der DFKGT kooperiert mit zahlreichen Verbänden und Organisationen Künstlerischer Therapien und ist an verschiedenen berufspolitischen Gremien beteiligt. Seit 2009 ist der DFKGT Mitglied in der Bundearbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT).
Der folgende Text ist als PDF abrufbar auf Website der BAG KT.
Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT)
Arbeitsgruppe Berufsrechtliche Regelung
Künstlerische Therapien in Europa – Ein kurzer Überblick
unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Deutschland, Österreich und Großbritannien
1. Einleitung
2. Zur Geschichte der Künstlerischen Therapien
a. Kunsttherapie
b. Musiktherapie
c. Tanztherapie
d. Theatertherapie
3. Zum Begriff „Künstlerische Therapien“
4. Zur Aktuellen Situation in Deutschland
a. Ausbildungssituation
b. Arbeitssituation in Deutschland
c. Verankerung im Gesundheitswesen in Deutschland
5. Zu Künstlerischen Therapien In Europa
a. Künstlerische Therapien in Österreich
b. Künstlerische Therapien in Großbritannien
c. Künstlerische Therapien in weiteren Ländern
6. Schlussfolgerungen und Ausblick
Quellen
Nennungen in Leitlinien und Abrechnungssystemen
+++++
1. Einleitung
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT) und ihre Vorläufer- Organisationen befassen sich seit über 20 Jahren mit der Definition des Begriffs „Künstlerische Therapien“. Ziel ist die Qualitätssicherung und Verankerung Künstlerischer Therapien in Leitlinien und Abrechnungssystemen. Die in dieser Dachorganisation kooperierenden Berufs- und Fachverbände bemühen sich damit für Patientinnen und Patienten sicherzustellen, dass sie gut ausgebildete und dem Ethikkodex entsprechend tätige Künstlerische Therapeutinnen und Therapeuten vorfinden. Sie sorgen für die Einhaltung von Verbandsstandards zur Berufsausübung ihrer Einzelmitglieder, die Patientinnen und Patienten mit Kunsttherapie, Musiktherapie, Tanztherapie, Theatertherapie u.a. behandeln. Denn in Deutschland steht eine staatliche Regelung bisher aus. Seit 40 Jahren sind in allen Bundesländern universitäre Ausbildungen durch die jeweiligen Wissenschaftsministerien und Akkreditierungsagenturen genehmigt. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) stellt in seinem Bericht Nr. 780 (HT17-02) (1) fest, dass ein neuer Beruf entstanden ist, der einer Regelung bedarf. Die BAG KT fordert eine staatliche Regelung in Deutschland herbeizuführen.
Künstlerische Therapien sind in folgenden Ländern Europas inzwischen geregelt:
1. Estland: Staatliche Anerkennung nach Masterabschluss
2. Großbritannien: Act of Parliament, Art Therapist, Music Therapist, Drama Therapist (2)
3. Israel: Regulierung der Künstlerischen Therapien durch das Gesundheitsministerium (1992)
4. Italien: Gesetzliche Regelung für Musik-, Kunst-, Tanz- und Theatertherapie (3)
5. Lettland: Staatliche Anerkennung von Kunst-, Musik-, Tanz- und Theatertherapie (4)
6. Littauen: Künstlerischer Therapeut*innen sind durch das Gesundheitsinisterium zugelassen (5)
7. Niederlande: Vaktherapeutische Beroepen 2006: dramatherapie, muziektherapie, beeldende therapie, danstherapie
8. Nord Irland: HCPC registered in UK
9. Österreich: Bundesgesetz über die berufsmäßige Ausübung der Musiktherapie (6)
10. Polen: Kunst- und Musiktherapeut*innen haben eine staatliche Anerkennung (7)
11. Schweiz: März 2011 Genehmigung zur Höheren Fachprüfung für Kunsttherapeutinnen und Kunsttherapeuten durch das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) (8)
2. Geschichte der Künstlerischen Therapien
Die Fachrichtungen der Künstlerischen Therapien haben unterschiedliche Vorläuferentwicklungen und eine jeweils eigene Geschichte. Gemeinsam ist allen, dass die heute gültigen wissenschaftlichen Grundlagen und Annahmen mit Beginn des 20. Jh. gelegt sind. Sie entwickelten sich aus reformpädagogischen Ansätzen, die teilweise im deutschsprachigen Raum entstanden. Weitere Grundlagen bilden die Konzepte der Psychoanalyse zur Kreativität und Psychodynamik des künstlerischen Schaffens. Zu Beginn des 20 Jahrhunderts verfassten Siegmund Freud, C. G. Jung und deren Nachfolger*innen Schriften, in denen der enge Zusammenhang von psychischer Gesundheit und der Fähigkeit zur künstlerischen Symbolbildung betont wird. Während des Nationalsozialismus gingen viele dieser Pionier*innen ins Exil. Der zweite Weltkrieg unterbricht damit die Entwicklung Künstlerischer Therapien in Deutschland, sodass bis heute ein gewisser Rückstand in der Anerkennung der Berufe Künstlerischer Therapeut*innen besteht.
Frühe Impulse zum therapeutischen Einsatz künstlerischer Mittel und Prozesse in der Anthroposophischen Medizin gehen auf Rudolf Steiner zurück. Anfang des 20. Jahrhunderts hielt er Vorträge über die Kunst als Weg zur gesunden Ergreifung des Ich und Grundlagen zur therapeutischen Anwendung. Diese Impulse wurden von Ita Wegman in Zusammenarbeit mit Ärzt*innen, Heilpädagogen, Maler*innen, Musiker*innen, Sprachgestalter*innen und Waldorfpädagogen weiter erforscht, in therapeutische Interventionen in allen Bereichen der Künstlerische Therapien (Malerei, Musik, Plastik, Sprachgestaltung) umgesetzt und in der Heilpädagogik, Psychiatrie, Psychosomatik und Inneren Medizin angewendet und weiterentwickelt. (9)
Auch auf anderen Grundlagen wurden übergeordnete Ansätze für Künstlerische Therapien unter Einbeziehung unterschiedlicher künstlerischer Bereiche entwickelt wie z.B. eine intermodale und intermediale Form Künstlerischer Therapie (expressive arts therapy) von Paolo Knill, Shaun McNiff und Norma Canner, die an der Lesley University in Cambridge (USA) seit 1974 im Rahmen eines Master-Lehrgangs in „Creative Arts Therapy“ mündete.
Weitere Ansätze Künstlerischer Therapien entwickelten sich auf der Basis einzelner künstlerischer Fachrichtungen.
2.a. Kunsttherapie
Vor ca. 250 Jahren wurde in der Gesellschaft wahrgenommen, dass psychisch erkrankte Menschen von sich aus begannen zu malen und zu zeichnen (10). Anfangs waren es Künstler wie William Hogarth, Francisco de Goya und Wilhelm von Kaulbach, die sich in sogenannte Irrenanstalten begaben und die Lebenswirklichkeit von Außenseiter*innen der Gesellschaft darstellten. (11)
Der Einfluss der Romantik führte auch im Bereich der Medizin zu neuen Sichtweisen im Umgang mit Kranken. Als revolutionär galten um 1800 die Reformen des französischen Psychiaters Philippe Pinel, der erste Malateliers in den Anstalten einrichtete. Ihm folgten andere Psychiater wie Cesare Lombroso und André Tardieu. Sie begannen, die stilistischen Elemente künstlerischer Werke von Patient*innen zu klassifizieren und sie im Hinblick auf ihre diagnostische Verwertbarkeit zu untersuchen. Andere fortschrittliche Psychiater wie Fritz Mohr und Marcel Réjà vertraten einen weniger diagnostisch und pathologisch ausgerichteten Standpunkt, sie hoben die künstlerischen Ausdrucksformen aus ästhetischer Sicht hervor. Der bekannteste unter ihnen wurde der Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn. 1922 erschien sein Buch „Bildnerei der Geisteskranken“ mit zahlreichen Abbildungen von Werken psychisch Kranker.
In Prinzhorns Nachfolge bemühten sich vor allem der Maler Jean Dubuffet und der Psychiater Leo Navratil um eine gesellschaftliche Wahrnehmung des künstlerischen Schaffens als Form der Kommunikation und des Ausdrucks von Menschen, die als Außenseiter gelten. Parallel lieferten Ende des 19. Jahrhunderts die neuen Studien der progressiven Kunsterziehungsbewegung wichtige Erkenntnisse. Sie besagten, dass sich die Fähigkeit des Kindes zum künstlerischen Gestalten nach eigenen Gesetzmäßigkeiten entfaltet und schon kleine Kinder ihre Bilder mit Bedeutungen versehen. Darauf basieren für die Kunsttherapie diagnostisch relevante Kriterien, um die kognitive und emotionale Reife von Kindern und Erwachsenen einschätzen zu können. (12)
Prägende Impulse an die Kunsttherapie kamen auch von den Künstler*innen der Bauhaus-Bewegung in Weimar (Johannes Itten, Wassily Kandinsky, u.v.a.), die sich mit den Wirkungen künstlerischer Tätigkeiten und formalem Ausdruck auf das menschliche Befinden beschäftigten.
Erstmals wurde der Begriff „Art Therapy“ 1942 in den USA von Margaret Naumburg und fast zeitgleich von Adrian Hill in England verwendet. Während Naumburg auf den Erkenntnissen der Psychoanalyse fußend in spontan gezeichneten Bildern einen unmittelbareren Zugang zum Unbewussten als „Dynamically Oriented Art Therapy“ sah, hatte Hill als Künstler mit Mitpatient*innen gemalt als er selbst im Krankenhaus war. Er erkannte die Auswirkungen dieser Tätigkeit auf den Gesundheitszustand und beschrieb seine Erfahrungen in seinem Buch „Art versus Illness.“ (13) Eine weitere Pionierin der Kunsttherapie in den USA war Edith Kramer, deren 1975 zum ersten Mal auf Deutsch erschienenes Buch „Kunst als Therapie mit Kindern“ bis heute zur Grundlagenliteratur zählt. Darin verbindet sie das Wissen um die Kunst und den künstlerischen Prozess mit den Erkenntnissen der Psychoanalyse und Psychotherapie.
1967 prägte der Bildhauer und Grafiker Siegfried Pütz den Begriff "Kunsttherapie" für den deutschsprachigen Raum. Zusammen mit seiner Ehefrau Rose Maria eröffnete er im selben Jahr die Lehre der Kunsttherapie an der Freien Kunststudienstätte Ottersberg. (14) Diese erlangte 1984 als „Freie Kunst-Studienstätte Ottersberg“ die staatliche Anerkennung als Fachhochschule für Kunst, Kunstpädagogik und Kunsttherapie. Hier wurde der Begriff Kunsttherapie das erste Mal im deutschsprachigen Raum verwendet.
Anfang der 1980er Jahre taucht die Bezeichnung „Kunsttherapie“ vermehrt auf breiter und vielfältiger theoretischer Grundlage an vielen Orten in Deutschland auf: Künstler*innen, Pädagog*innen, Therapeut*innen und Ärzt*innen nutzten künstlerisches Material, um mit Menschen zu malen, zu zeichnen und Skulpturen zu kreieren. Dies waren keineswegs nur psychiatrische Patient*innen, sondern auch psychosomatisch Erkrankte, Menschen mit Behinderungen, Insassen von Gefängnissen und viele andere, denen kunsttherapeutische Tätigkeiten Wege der Selbsterfahrung und des persönlichen Wachstums ermöglichten.
1987 folgte der Diplom-Studiengang an der Fachhochschule in Nürtingen. Parallel wurde Kunsttherapie an Universitäten als Studienschwerpunkte in Fachbereichen wie Heilpädagogik oder an Kunsthochschulen als Aufbaustudiengänge für Künstler*innen angeboten. Auch privat-zertifizierende Ausbildungsinstitute wurden gegründet. 2005 wurde der erste akkreditierte Masterstudiengang an einer Universität in Berlin an der Kunsthochschule Weißensee eingerichtet. Heute gibt es an acht Universitäten und Fachhochschulen Kunsttherapiestudiengänge mit Master- und Bachelor-Abschlüssen.
2.b. Musiktherapie
Die institutionellen Anfänge der Musiktherapie in Europa sind in der ersten Hälfte des 20. Jhd. etabliert. In Londoner Krankenhäusern spielten Gruppen von Sängerinnen und Instrumentalisten den Patienten beruhigende Musik vor (vgl. Bunt 1998, S.13).(15) Im angloamerikanischen Bereich beeinflusste der hohe Anteil an Veteranen des 2. Weltkriegs in den Krankenhäusern die Entwicklung der Musiktherapie nachhaltig. Musiker*innen und Musiklehrer*innen wurden als reguläre Teammitglieder in Krankenhäusern eingestellt. Gleichzeitig wurde es erforderlich, musiktherapeutische Behandlungen indikationsspezifisch zu systematisieren und Musiker*innen oder Mediziner*innen für die spezielle musiktherapeutische Arbeit auszubilden. So entstanden die ersten Schulungskurse für Musiker*innen, die ihre Fähigkeiten im therapeutischen Gebrauch von Musik weiterbilden wollten, 1944 in den USA, 1958 in Großbritannien. (16)
1959 etablierte Editha Koffer-Ullrich „ Musikheilkunde“ an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, nachdem sie 1957 in Boston (USA) die dort bereits etablierte Musiktherapie beobachtet und einen Kurs am New England Conservatory belegt hatte. (17) Christoph Schwabe – Pionier der Musiktherapie in Deutschland – entwickelte bereits in den 1960er Jahren an der Universitätsklinik Leipzig eine Schulen übergreifende musiktherapeutische Konzeption, die im Gesundheitssystem der DDR verankert war. (18) Aus den unterschiedlichen Wurzeln wie z.B. verschiedenen psychotherapeutischen oder künstlerischen Grundlagen entwickelten sich weitere Ansätze für musiktherapeutische Behandlung (19) in unterschiedlichen Einsatzgebieten wie z.B. die Orff Musiktherapie, die Nordoff/ Robbins Musiktherapie, Neurologische Musiktherapie, Musiktherapie nach Schwabe, Anthroposophische Musiktherapie, Musikimaginative und analytisch, systemisch oder humanistisch orientierte Musiktherapie.
Heute ist Musiktherapie als wissenschaftliche Disziplin an Universitäten und Hochschulen in fast allen europäischen Ländern, in den USA, in Südamerika, Südafrika, Israel, Australien, Japan und China vertreten und erscheint als eine global vernetzte Wissenschaftsdisziplin. Musiktherapie ist von der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen als förderungswürdiges Verfahren der Psychotherapie anerkannt. (20)
In Deutschland sind Ausbildungen und Studiengänge - grundständig sowie auf vorangegangene Ausbildungen aufbauend - verankert. Eine Verankerung im deutschen Gesundheitssystem ließ sich mit der Wende leider nicht aus der DDR übernehmen. Stattdessen geriet Musiktherapie (zusammen mit der Tanztherapie) auf die Liste der aus der Heilmittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses ausdrücklich ausgeschlossenen Leistungen. Die Interpretation dieses Ausschlusses wurde seit der Erstveröffentlichung 1992 immer weiter ausgedehnt, so dass inzwischen nicht nur jegliche Finanzierung von Musiktherapie über gesetzliche Krankenkassen, sondern sogar der Zugang zu bestimmten Forschungsmitteln und Modellprojekten dadurch blockiert ist.
2.c. Tanztherapie
Die im folgenden genannten Strömungen beeinflussten in verschiedenem Maße die Pionier*innen der Tanztherapie. Der Ausdruckstanz und die daraus entwickelte Tanzpädagogik betonten die Verwendung von Tanzkunst als Medium des persönlichen Ausdrucks und der sozialen Integration. Die anthropologische Forschung der Naturvölker dokumentierte die Nutzung von Tanzritualen als Heilmethode. Für den Zweck interkultureller Studien wurden Methoden für die Erfassung und das Verständnis von non- verbalem Ausdruck entwickelt. Die Theorien von Siegmund Freud und seinen Nachfolger*innen machten die systematische Deutung von Verhaltensphänomenen möglich. Sie postulierten den Zusammenhang zwischen der psychischen Instanz des Ichs und des Körper-Ichs.
Carl Rogers und Abraham Maslow konzipierten Therapieansätze basierend auf den gesunden Anteilen und dem individuellen Potential von Patient*innen im Gegensatz zur traditionellen Orientierung an Pathologien und Defiziten.
Die menschliche Bewegung wurde erforscht, um der Psychodiagnostik zu dienen und später, um non-verbale Kommunikation und die Bedeutung von Interaktion und Bewegung für die normale Entwicklung zu ergründen (vgl. Stanton-Jones, 1992 (21); Levy, 1988 (22)).
Sechs Pionierinnen legten den Grundstein für die Theorie und Praxis der Tanztherapie in den USA der 40er und 50er Jahre: Marian Chace, Blanche Evan, Liljan Espenak, Mary Whitehouse, Trudi Schoop und Alma Hawkins. Sie erzielten Erfolge in klinischen Settings, z.B. auf geschlossenen Stationen der Psychiatrie, mit Patient*innen, die bis dahin für „nicht therapierbar“ galten. Bedeutsam ist, dass sie alle ihre Heilmethoden direkt aus ihren Erfahrungen als Tänzerinnen/Tanzpädagoginnen ableiteten und erst später durch psychologische Erklärungsmodelle ergänzten. Bis Mitte der 60er Jahre wurde die Praxeologie intensiv weiterentwickelt, die theoretische Fundierung und die empirische Forschung der Tanztherapie verliefen hingegen eher zaghaft. 1966 wurde eine berufsständige Vertretung gegründet, und Magister Studiengänge für Tanztherapie wurden an Universitäten aufgenommen. Mit der darauffolgenden theoretischen Ergründung wandelte sich das Selbstverständnis der Tanztherapie in den 70er Jahren zu dem einer Psychotherapie (vgl. Levy, 1988). In Deutschland werden seit den frühen 80er Jahren Weiterbildungen in Tanztherapie angeboten.
2.d. Theatertherapie
Zu Beginn des letzten Jahrhunderts werden die ersten Pionier*innen des therapeutischen Theaters erkennbar. So gründete der russische Mediziner, Biologe, Philosoph und Künstler Vladimir Iljine 1908 das „Therapeutische Theater“. Es entstand in der Zeit des geistigen Umbruchs in der russischen Gesellschaft an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, ging einher mit den Theaterkonventionen des russischen Regisseurs Konstantin Stanislawskis und mündete in ein Umdenken im Verständnis von Theater: Die Beziehung Schauspieler*in zur Rolle, die authentische Darstellung von Emotionen, Fragen nach dem Zusammenhang von Schein und Sein, von Realität und Abbild wurden neu beleuchtet. Iljine sah darin die eindeutige Brücke zur Psychotherapie. Er entwickelte Methoden, um u.a. mit psychiatrischen Patient*innen Theater zu spielen, das primär therapeutische Zielsetzungen hatte. Iljines Methoden überschneiden sich in vielen Aspekten mit denen, die wenige Jahre später von dem österreich-amerikanischen Arzt, Psychiater und Soziologen Jacob Levy Moreno entwickelt werden sollten. Doch obwohl er schon über ein Jahrzehnt vor Moreno begann, an Konzepten für das Einsetzen von Theater zu therapeutischen Zwecken zu arbeiten, setzte sich Morenos Psychodrama in der weltweiten therapeutischen Praxis durch. Es geht weiter über Berthold Brechts episches Theater zu dem polnischen Regisseur Jerzy Grotowskis („Living Theater“), dem „Theater der Unterdrückten“ des brasilianischen Regisseurs Augusto Boal bis hin zu dem amerikanischen Theatertherapieprofessor Robert Landys („Rollen Methode“), welche die ersten Theatertherapiemethoden als Grundpfeiler in sich tragen. So auch Eleanor Erwin in Pittsburgh, die mit ihren Veröffentlichungen in den 1970ern einen methodischen Grundstein legte; mit Marian Lindkvist in London, Gründerin des Sesame Instituts 1964; Sue Jennings in London, Autorin von Remedial Drama (1973), einem der ersten Bücher zu Theatertherapie und 1977 Mitbegründerin der British Association of Drama Therapy; Richard Courtney, in Kanada Autor von Play, Drama and Thought (1968), das ein für alle Mal die Verbindungen zwischen Drama und Psychologie etabliert, zeitgleich ebenso die amerikanische Schauspielerin und Professorin für Theatertherapie Gertrud Schattner, Gründerin der National Association auf Drama Therapy.
In den 70ern wurden die ersten Studiengänge für Theatertherapie in England, den Niederlanden und den USA an Hochschulen und Universitäten etabliert. In Deutschland wurde 2004 eine Weiterbildung des Berufsverbands der Theatertherapeut*innen eingerichtet und 2016 der bisher einzige Studiengang Theatertherapie an einer deutschsprachigen staatlichen Hochschule in Nürtingen errichtet.
3. Begriff „Künstlerische Therapien“
Der Begriff Künstlerische Therapien ist durch die BAG KT definiert (23) und ihre Mitgliedsverbände achten auf die jeweiligen Ausbildungs- und Praxisstandards (24). Unter diesem Begriff wurde die Verankerung im Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) (25), in der Klassifikation Therapeutischer Leistungen in der Rehabilitation (KTL) (26) sowie den Reha-Therapiestandards (27) und in Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) (28) sowie in Studiengängen erreicht. Solange keine gesetzliche Regelung besteht, sollen verbandliche Qualitätssicherungsmaßnahmen für die Patient*innensicherheit sorgen und Transparenz für Arbeitgeber und Kostenträger herstellen. Die BAG KT kooperiert auch mit der Wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Künstlerische Therapien (WFKT) (29).
Bei der BAG KT liegen ein konsentiertes Berufsbild für Künstlerische Therapeut*innen sowie eine Berufsordnung im Entwurf vor. (30)
Die BAG KT wirkt darauf hin, dass der Begriff Künstlerische Therapien und die darunter für die verschiedenen Fachrichtungen verwendeten Begriffe (Kunsttherapie, Musiktherapie, Tanztherapie, Theatertherapie u.a.) als definierte Begriffe von anderen gebräuchlichen Begriffen (wie z.B. Kreativtherapie (31)) abgegrenzt werden.
So lange die Berufsbezeichnungen für die Künstlerischen Therapeutinnen und Therapeuten nicht geschützt sind, kann die BAG KT nicht dafür garantieren, dass ihre Arbeit an der Definition von Standards von allen, die diese Berufsbezeichnung (auch ohne durch eine der Mitgliedsorganisationen anerkannte Ausbildung) führen, eingehalten werden. Das Ziel ihrer Arbeit ist deshalb, den staatlichen Schutz dieser Berufsbezeichnungen herbeizuführen.
4. Aktuelle Situation in Deutschland
4.a. Ausbildungssituation
Die in der BAG KT organisierten Berufs- und Fachverbände für Künstlerische Therapien erkennen nach ihren Qualitätsvorgaben für alle Künstlerischen Therapien in Deutschland die Ausbildung in aktuell 46 Ausbildungsinstituten an, die den oben erwähnten Ausbildungsstandards genügen. Dazu gehören sowohl Hochschulstudiengänge als auch mindestens auf Bachelor- Niveau konzipierte Ausbildungen an privat organisierten Ausbildungsinstituten.
Mit dem Abschluss dieser Ausbildungen ist nach derzeitiger Rechtslage keine Erlaubnis zur selbstständigen Berufsausübung verbunden. Deshalb besteht für alle ambulant, z.B. in eigener Praxis tätigen Künstlerischen Therapeutinnen und Therapeuten eine Notwendigkeit des Erwerbs einer zusätzlichen Erlaubnis zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten, die überwiegend durch die „Heilpraktikerregelung“ zur Heilkunde ohne Bestallung (HeilprGDV 116) erworben wird. Diese Zulassung steht aber auch Menschen offen, die keine qualifizierte Ausbildung in einer Behandlungsform erworben haben. Aus der Antwort der Bunderegierung vom 12.05.2021 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther und weiterer Abgeordneter der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden bundesweit ca. 50 Institute und Hochschulen, die eine Aus- oder Weiterbildung in Kunsttherapie sowie ca. 30 Institute und Hochschulen, die eine Aus- oder Weiterbildung in Musiktherapie anbieten, genannt (32). Demnach sind über 50% der Ausbildungsanbieter ohne Kooperation mit einem Berufs- oder Fachverband tätig. Diese Situation ist aus Sicht der BAG KT nicht länger tragfähig. Deshalb fordert sie, dass die Berufsausübung durch ein Gesetz und eine Richtlinie zukunftsfähig geregelt wird.
4.b. Arbeitssituation in Deutschland
In Deutschland wurden in der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (33) im Jahr 2018 ca. 10.000 vollzeitäquivalente Stellen (inkl. Honorarkräfte) für Musik-, Theater- und Kunsttherapie angegeben. Zuzüglich sind Stellen für Tanz- und Eurythmietherapie zu berücksichtigen. Die Klassifikation der Berufe (2010) grenzt die Berufe in der Musik- und Kunsttherapie ausdrücklich von Gesundheitsfachberufen sowie von pädagogischen Berufen ab.
Nach Angabe der Bundesagentur für Arbeit (34) waren in Deutschland im Jahr 2020 insgesamt 3.109 Personen sozialversicherungspflichtig im Bereich Kunst- und Musiktherapie tätig. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Bereich Kunst- und Musiktherapie ist seit dem Jahr 2012 kontinuierlich gestiegen. Die künstlerisch- therapeutische Qualifikation ist in diesen Berichten nicht erfasst. Es können daher keine wirklich verlässlichen Zahlen erhoben werden, solange keine gesetzliche Regelung für alle Künstlerischen Therapien besteht. In einer Berufsgruppenanalyse (35), die auf Veranlassung der BAG KT schon 2014 veröffentlicht wurde, werden auf der Grundlage von Absolvent*innenzahlen der qualifizierten Ausbildungsgänge über 17.000 ausgebildete Künstlerische Therapeutinnen und Therapeuten in Deutschland angenommen.
Künstlerische Therapien finden Anwendung bei Menschen aller Lebensalter (36). Nachweise zu Indikationsfeldern sind im Einzelnen den entsprechenden AWMF Leitlinien zu entnehmen (s. Liste im Anhang). Damit ergänzen die Künstlerischen Therapien im stationären Bereich das Behandlungsangebot der anderen Berufsgruppen mit ihren spezifischen Interventionen.
Diese Entwicklung wird in der Fachöffentlichkeit gesehen und findet ihren Niederschlag in wissenschaftlichen Fachdiskussionen medizinischer Fachgesellschaften (37) sowie entsprechenden Veröffentlichungen in der Fachliteratur. Einen Beitrag zur wissenschaftlichen Fachdiskussion leistet (neben der Aufnahme in AWMF- Leitlinien) zum Beispiel die strukturierte Aufbereitung der wissenschaftlichen Belege zu der Frage, ob eine begleitende Musiktherapie bei Krebserkrankungen zu besseren Behandlungsergebnissen beitragen kann, die vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) 2019 im Rahmen des sogenannten „ThemenCheck Medizin“-Verfahrens veröffentlicht worden ist (38).
Bis in die 1990er Jahre wurden im Delegationsverfahren Künstlerische Therapien ambulant durchgeführt und zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet. Mit dem Psychotherapeutengesetz wurde diese Möglichkeit 1999 ersatzlos abgeschafft. Die HeilmittelRichtlinie (HeilM-RL) führt seit 1992 »Musik- und Tanztherapie« ausdrücklich als ausgeschlossene Verfahren auf (§ 5 HeilM-RL i. V. m. Anlage 1 a Nr. 4 HeilM-RL).
Diese Tatsache führt seitdem dazu, dass speziell Musik- und Tanztherapie als ambulante Leistung von Therapeut*innen in freier Praxis nicht zu Lasten gesetzlicher Krankenkassen abgerechnet werden können. Die in der Verfahrensordnung des G-BA vorgeschriebenen Mindestanforderungen an die Durchführung und zusammenfassende Dokumentation eines tatsächlich vollzogenen Bewertungsverfahrens kann auf Nachfrage nicht vorgelegt werden. Durch diesen Ausschluss können sowohl die Musik- als auch die Tanztherapie auch als freiwillige Satzungs- oder Erstattungsleistung nach § 13 SGB V gesetzlicher Krankenkassen nicht eingeschlossen werden.
Anders verhält es sich hinsichtlich der Kostenübernahme für die ambulante Inanspruchnahme anderer künstlerisch- therapeutischer Behandlungsformen wie z. B. der Kunsttherapie und Theatertherapie. Die Kosten können als zusätzliche Satzungsleistungen von einzelnen gesetzlichen Krankenkassen ganz oder anteilig übernommen werden. Die Kostenübernahme findet dabei zum Teil im Rahmen des Erstattungsverfahrens nach § 13 SGB V statt, wobei der Versicherte zunächst in Vorleistung geht und anschließend eine Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenkasse erhält. Teilweise erfolgt eine Kostenübernahme für bestimmte Künstlerische Therapien nach §§ 140a ff. SGB V auch als Sachleistung ohne Vorleistung des Versicherten.
4.c. Verankerung im Gesundheitswesen in Deutschland
Künstlerische Therapien sind als therapeutische Leistung durch OPS und der KTL (s.o.) im stationären Bereich inzwischen gut verankert. Auch in der Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik Richtlinie (PPP-RL) des G-BA sind die Künstlerischen Therapien unter dem Oberbegriff „Spezialtherapien“ neben der Ergotherapie ausdrücklich genannt. Sie ergänzen das Behandlungsspektrum der bisher geregelten Gesundheitsberufe mit einem spezifischen unverzichtbaren Beitrag zur psychosozialen Versorgung insbesondere dann, wenn sprachgebundene Verfahren an ihre Grenzen geraten. Ihre handlungsorientierte Anwendung künstlerischer Medien und Prozesse auf der Basis der therapeutischen Beziehung verbessert insbesondere die Wahrnehmung, die Regulation von Verhalten und Emotionen sowie kommunikative Fähigkeiten und soziale Interaktionen. Mit ihren spezifischen Interventionen fördern Künstlerische Therapien vor allem den Zugang zu präverbalen und nonverbalen psychischen Funktionen. Sie ermöglichen damit handlungs- und erlebensbezogene Zugänge, fördern jenseits der sprachlich gebundenen Psychotherapieverfahren die Resilienz sowie die Selbstreflexion und erleichtern die Integration von belastenden und traumatischen Erlebnissen und Erfahrungen. Über das Einbeziehen aktueller Ereignisse innerhalb der Beziehungs- und Gestaltungsprozesse sind Patient*innen stets unmittelbar und aktiv an der Bestimmung des therapeutischen Prozessverlaufs beteiligt. Der die Sinnesorgane ansprechende, mediale Zugang und die „Evidenz“ des Werkes ermöglichen eine intersubjektive Auseinandersetzung mit intrapsychischen Funktionen. Somit können sowohl eine nachhaltige Stabilisierung der Patient*innen als auch die Entwicklung und Stärkung ihrer Kompetenzen erreicht werden (39).
5. Künstlerische Therapien In Europa
Nach einem „Scoping Review“ der WHO werden in deren europäischen Mitgliedsstaaten therapeutische Interventionen mit künstlerischen Mitteln als risikoarme, nichtmedikamentöse Behandlungsoptionen berücksichtigt. In ihrem Report über die Rolle der Künste zur Verbesserung der Gesundheit stellte die WHO 2019 heraus, dass mit Hilfe der Künste eine sektorenübergreifende, ganzheitliche, integrierte und patientenzentrierte Versorgung möglich ist, insbesondere bei komplexen, versorgungsrelevanten Herausforderungen, für die es aktuell keine Lösungen gibt (40).
5.a. Künstlerische Therapien in Österreich
Seit Juli 2009 ist in Österreich das Berufsgesetz über die berufsmäßige Ausübung der Musiktherapie (Musiktherapiegesetz – MuthG34) (41) in Kraft. Die berufsmäßige Ausübung der Musiktherapie ist damit nach § 6 Abs. 3 MuthG ausschließlich Musiktherapeuten vorbehalten. Dies ist der erste Schritt auf dem Weg der berufsrechtlichen Regelung der Künstlerischen Therapien in Österreich, der nun auch von Tanztherapeut*innen und Kunsttherapeut*innen angestrebt wird.
Als Mindestqualifikation ist ein BA Studium zu absolvieren, mit Abschluss eines Masterstudiengangs ist man zur eigenverantwortlichen Berufsausübung der Musiktherapie berechtigt. Zwar enthält das MuthG bereits einige Vorgaben zum Umfang bestimmter inhaltlicher Aspekte des jeweiligen Studiums, die konkreten Inhalte der musiktherapeutischen Ausbildung sind jedoch seit Juli 2019 in der sog. Musiktherapie-Ausbildungsverordnung 2019 (Muth-AV 201935) (42) geregelt. Zur Effektivität der Musiktherapie wurde ein HTA Projektbericht erstellt, der für fünf Indikationsgebieten die Behandlungsmöglichkeiten durch Musiktherapie evidenzbasiert zusammenfasst (Gassner, L. und Mayer-Ferbas, J., 2020) (43).
In Österreich sind insgesamt 466 Personen als Musiktherapeut*innen in der Musiktherapeutenliste nach §§ 19 ff. MuthG eingetragen. Beim Berufsverband für Tanz- und Ausdruckstherapie in Österreich (BTA) sind aktuell ca. 50 Tanztherapeut*innen registriert. Der Fachverband für Mal- und Gestaltungstherapie (fMGT) verzeichnet derzeit 441 Mitglieder. Die Zahl der in den einzelnen Behandlungsrichtungen tatsächlich berufstätigen Therapeuten ist nicht bekannt. Einzelnen Quellen zufolge sind insgesamt mehr als 2.000 diplomierte Mal-, Kunst- und Gestaltungstherapeut*innen in Österreich tätig.
5.b. Künstlerische Therapien in Großbritannien
In Großbritannien ist die Ausbildung und Berufsausübung Künstlerischer Therapeut*innen im Rahmen des Health Professions Council (HPC) geregelt. Hier unterliegt die Ausübung einer Tätigkeit als Künstlerische/r Therapeut*in den Regelungen des sog. Professions Supplementary to Medicine Act 196046 (Berufe in Ergänzung zu medizinischen Berufen), seit dieser im Jahr 1997 auf die Tätigkeiten im Bereich der Kunst-, Musik- und Theatertherapie ausgeweitet wurde. Durch den im Jahr 1999 neu verabschiedeten Health Care Act wurde das vorangegangene Gesetz im Jahr 2002 aufgehoben. Das neue Gesetz bezeichnet sie als „Health Professions” (Gesundheitsberufe), denen eine Selbstbestimmung zuerkannt ist. Aus der schon genannten Sektion 60 des Health Care Act von 1999 zieht der Health & Care Professions Council (HCPC), dem die Regulierung der Gesundheitsberufe obliegt, seine gesetzliche Grundlage.
Die jeweilige Berufsbezeichnung (Künstlerische Therapeut*innen sind aufgenommen als “Arts Therapists”) darf erst nach erfolgreicher Registrierung geführt werden. Voraussetzung für die Registrierung ist der Abschluss eines vom HCPC anerkannten Ausbildungs- oder Studiengangs. Aufgrund der Registrierungspflicht für Kunst-, Musik- und Theatertherapeuten liegen für Großbritannien genaue Angaben über die Anzahl der zugelassenen Künstlerischen Therapeut*innen vor: Nach Angaben des HCPC waren am 1. Mai 2019 landesweit insgesamt 4.444 Künstlerische Therapeut*innen registriert, 1.100 als Kunsttherapeut*innen, 1.085 als Musiktherapeut*innen sowie 939 als Theater- bzw. Dramatherapeut*innen; 920 Personen waren im Bereich der künstlerischen Psychotherapie beim HCPC gemeldet, die übrigen Therapeut*innen waren für zwei oder mehr Behandlungsformen zugelassen. Sofern in Einrichtungen des NHS Künstlerische Therapien angeboten werden, erfolgt bei deren Inanspruchnahme eine Kostenübernahme durch den NHS.
5.c. Künstlerische Therapien in weiteren Ländern
In der Einleitung sind 8 weitere Länder in Europa aufgelistet, in denen Regelungen für Künstlerische Therapien bestehen. In Nordirland sind die Therapeutinnen und Therapeuten im HPC UK registriert. In der Schweiz und den Niederlanden bestehen Regelungen, sowie auch in Italien, Polen, Estland, Lettland, Litauen und in Israel. Allerdings weichen die Rahmenbedingungen stark voneinander ab und sind sicher nicht alle zur Orientierung hilfreich. Auch weltweit sind Künstlerische Therapien verbreitet, aber den unterschiedlichen Gesundheitssystemen entsprechend im Vergleich zur Situation in Deutschland nicht unbedingt notwendig weiter auszuführen.
6. Schlussfolgerungen und Ausblick
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien e.V. sieht dringenden Regelungsbedarf für die Berufe der Künstlerischen Therapeutinnen und Therapeuten. Das Thema ist zunehmend in der Politik präsent, z.B. im Bundestag zuletzt in der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Dr. Janosch Dahmen, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im April 2022 (44). Für die Legislatur bis 2025 hoffen alle Mitglieder der BAG KT auf eine Berücksichtigung des Regelungsbedarfs im Rahmen des im Koalitionsvertrag genannten geplanten Allgemeinen Heilberufegesetzes und damit auf einen Schutz der Berufsbezeichnungen.
Mit ihren Informationen möchte die Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien dazu beitragen, Interessierten die zum Teil schwierig zu recherchierenden Sachverhalte zu diesen bisher ungeregelten Berufen leichter zugänglich zu machen.
Im Vergleich zu Deutschland finden sich konsistente Regelungen für Künstlerische Therapien in Großbritannien, Niederlanden, Italien, Schweiz sowie in Österreich für die Musiktherapie. Dort ist der Schutz der Berufsbezeichnung und damit Qualitätssicherung und Patient*innenschutz staatlich geregelt. Mit dem Abschluss einer geregelten Ausbildung dürfen Künstlerische Therapeut*innen dort ihre Patient*innen sektorenübergreifend behandeln. Unter geregelten Voraussetzungen besteht die Möglichkeit der Finanzierung ambulanter Künstlerischer Therapien. Indizierte Therapien können so während verschiedener Behandlungssettings kontinuierlich weitergeführt werden.
Auch wenn Künstlerische Therapeutinnen und Therapeuten im Vergleich zu anderen Berufsgruppen länderübergreifend in kleiner Anzahl zu finden sind, ist ihr spezifischer Beitrag zur Gesundheitsversorgung offenbar hilfreich, so dass die Anzahl dieser Therapeutinnen und Therapeuten kontinuierlich steigt. Aus Sicht der Patient*innen ist die geregelte Inanspruchnahme Künstlerischer Therapien offenbar gewünscht. Auch die WHO spricht sich dafür aus, künstlerische Tätigkeiten stärker in die Gesundheitsversorgung einzubinden (s.o.).
In Deutschland besteht ein Regelungsbedarf für alle Berufe der Künstlerischen Therapien, der aber in einem Zuständigkeitsdilemma zwischen Gesetzgeber und G-BA festzustecken scheint.
Die BAG KT plädiert dafür, durch eine Richtlinie für alle Künstlerische Therapien eine Abrechnungsmöglichkeit im ambulanten Bereich zu schaffen.
Bearbeitungsstand: 10.5.2022
+++++
Anhang
• • Quellen
• • Verzeichnis der Nennungen in Leitlinien und Abrechnungssystemen
Quellen
1. https://www.iqwig.de/download/ht17-02_musiktherapie-und-krebs_hta-kompakt_v1-1.pdf
2. EU Law: Other Directive 2005/36/EC National legislation: Health and Social Work Professions Order 2001
3. Legge n. 4 del 14 gennaio 2013 Norma UNI 11592 per le Arti Terapie Musicoterapia, Arti Terapia, Danzaterapia, Teatro Terapia, Dramaterapia
4. Artikel 45.1, Law on Medical treatment, adopted by Parliament on 21 June, 2012, entered into force on 11 July
5. https://e-seimas.lrs.lt/portal/legalAct/lt/TAD/6dc154012fd811eb8c97e01ffe050e1c?jfwid=q8i88mcob
6. Musiktherapiegesetz – MuthG, StF: BGBl. I Nr. 93/2008 (NR: GP XXIII RV 552 AB 596 S. 61. BR: AB 7960 S. 757.) [CELEX-Nr.: 32003L0109, 32004L0038, 32005L0036]
7. https://stat.gov.pl/Klasyfikacje/doc/kzs/pdf/KZiSDzU28-08-2014poz1145.pdf
8. https://www.artecura.ch/_tmc_daten/File/Berufsbild_ARTECURA_1804.pdf , Titel "Diplomierte Kunsttherapeutin (ED)" / "Diplomierter Kunsttherapeut (ED)" der Fachrichtungen Bewegungs- und Tanztherapie, Drama- und Sprachtherapie, Gestaltungs- und Maltherapie, Intermediale Therapie, Musiktherapie
9. Berufsverband Anthroposophische Kunsttherapie, Galerie der Wegbereiter, https://www.anthroposophische-kunsttherapie.de/pioniere.html
10. Dannecker, K. (2004) Zur Geschichte und Etablierung der Kunsttherapie in Berlin. In: T. Müller, Psychotherapie und Körperarbeit in Berlin. Geschichte und Praktiken der Etablierung. Husum. Matthiesen
11. McGregor, J. (1987) The Discovery of the Artistry of the Art of the Insane. Princeton
12. Richter, H.-G. (1987) Die Kinderzeichnung. Düsseldorf. Schwann
13. Hill, A. (1945) Art versus Illness, London
14. https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/hginfo_2217_HKS.pdf?__blob=publicationFile&v=1
15. Bunt, L. (1998) Musiktherapie, Weinheim, Basel
16. Bunt, L. (1998) Musiktherapie, Weinheim, Basel
17. Fitzthum, E., https://www.mdw.ac.at/magazin/index.php/2019/09/27/60-jahre-und-kein-bisschen-weise-zur-geschichte-der-musiktherapie-an-der-mdw/
18. https://christoph-schwabe.de
19. Weitere Informationen z.B. in: Hans-Helmut Decker- Voigt, Eckhard Weymann (Hrsg.), Lexikon Musiktherapie (Göttingen, 2021)
20. Kapteina, H., Einführung in die Musiktherapie, https://silo.tips/download/einfhrung-in-die-musiktherapie
21. Stanton-Jones , K. (Tavistock/Routledge, 1992), An Introduction to Dance Movement Therapy in Psychiatry
22. Levy, F. J. (1988). Dance/Movement Therapy. A Healing Art. Waldorf, MD: AAHPERD Publications
23. https://bagkt.de/implementierung/
24. https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/ops/
25. https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Experten/Infos-fuer-Reha-Einrichtungen/Klassifikationen-und-Dokumentationshilfen/klassifikationen_dokumentationshilfen.html
26. https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SiteGlobals/Forms/Suche/DE/DRV/Servicesuche_Formular.html;jsessionid=959A77E6F8BBC89E7E66ECD3DD16CFA1.delivery2-2-replication?nn=ec74f5e2-181d-4a12-ac20-6e71490f407c&resourceId=2c40bc32-de92-4c67-8240-cefc783542d2&input_=a8cb6968-df96-4978-946f-4211b3208673&pageLocale=de&templateQueryString=rts&submit=
27. https://www.awmf.org/leitlinien.html
28. www.wfkt.de
29. https://bagkt.de
30. https://klinikverbund.lvr.de/de/nav_main/%20fachgebiete_und_angebote/angebote/kuenstlerischetherapien/kreativtherapie_5.html
31. Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Dr. Janosch Dahmen, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN– Deutscher Bundestag, Drucksache 19/29610 (2021:6f), https://dserver.bundestag.de/btd/19/296/1929610.pdf
32. www.gbe-bund.de
33. Oster, J. et al. (2014) https://oparu.uni-ulm.de/xmlui/handle/123456789/3867
34. https://www.dgppn.de/die-dgppn/referate/gesundheitsfachberufe.html
35. https://www.dkpm.de/de/forschung/ag/kuenstlerische-therapien.php?thisID=54&msclkid=54c8d36ed04111ecbda4eca0fb37c7b0
36. https://www.dgpalliativmedizin.de/neuigkeiten/sektion-kuenstlerische-berufe.html
37. Krebs - Kann eine begleitende Musiktherapie zu besseren Behandlungsergebnissen beitragen? Health Technology Assessment im Auftrag des IQWiG, Version: 1.0, Stand: 13.06.2019, HTA-Nummer:HT17-02 IQWiG-Berichte – Nr. 78, https://www.iqwig.de/download/ht17-02_musiktherapie-und-krebs_hta-kompakt_v1-1.pdf
38. AWMF S 3- Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen unter https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-020l_S3_Psychosoziale_Therapien_bei_schweren_psychischen_Erkrankungen_2019-07.pdf
39. Fancourt D., Finn, S. (2019) What is the evidence on the role of the arts in improving health and wellbeing? A scoping review. Copenhagen: WHO Regional Office for Europe; 2019 (Health Evidence Network (HEN) synthesis report 67) https://www.euro.who.int/en/publications/abstracts/what-is-the-evidence-on-the-role-of-the-arts-in-improving-health-and-well-being-a-scoping-review-2019
40. Bundesgesetz über die berufsmäßige Ausübung der Musiktherapie (Musiktherapiegesetz – MuthG), BGBl. I Nr. 93/2008, abrufbar unter RIS - Musiktherapiegesetz - Bundesrecht konsolidiert, Fassung vom 21.09.2021
41. Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz über die Kompetenzen, die im Rahmen der Ausbildung für die mitverantwortliche und eigenverantwortliche Berufsausübung der Musiktherapie erworben werden müssen einschließlich der Mindestanforderungen an die Ausbildungen (Musiktherapie-Ausbildungsverordnung 2019 – Muth-AV 2019), abrufbar unter RIS - Musiktherapie-Ausbildungsverordnung 2019 - Bundesrecht konsolidiert, Fassung vom 22.09.2021 ( www.bka.gv.at ).
42. HTA Projektbericht Nr. 133: http://eprints.aihta.at/1280/
43. https://dserver.bundestag.de/btd/19/290/1929074.pdf
Nennungen in Leitlinien und Abrechnungssystemen
AWMF Leitlinien, in denen Künstlerische Therapien oder einzelne Fachrichtungen genannt werden
001-012 Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin
nvl-007 Nicht-spezifischer Kreuzschmerz
013-083 Stationäre dermatologische Rehabilitation
016-001 Chronischer Unterbauchschmerz der Frau
016-003 (Psychosomatisch orientierte Diagnostik und Therapie bei Fertilitätsstörungen)
017-064 Chronischer Tinnitus
020 - 007OL Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms
021-014 Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie
023-031 Familienorientierte Rehabilitation bei Herz- und Kreislauferkrankungen im Kindes- und Jugendalter und spezielle Rehabilitation im Jugend- und jungen Erwachsenenalter
025-002 Psychosoziale Versorgung in der Pädiatrischen Onkologie und Hämatologie
028-042 Intelligenzminderung
028-043 Behandlung von depressiven Störungen bei Kindern und Jugendlichen
028-047 Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter Teil 2: Therapie
030-010 Idiopathisches Parkinson-Syndrom
032-034 OL Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Patientinnen mit Endometriumkarzinom
032-045 OL Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms
032-051 OL Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten
038-009 Schizophrenie (NVL)
038-013 Demenzen
038-019 Diagnostik und Therapie bipolarer Störungen
038-020 Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen
038-024 Metamphetamin-bezogene Störungen
051-001 Funktionelle Körperbeschwerden
051-026 Diagnostik und Therapie der Essstörungen
051-028 Angststörungen
053-011 Schlaganfall
053-015 Geriatrisches Assessment in der Hausarztpraxis
063-003 (Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Insomnie bei Erwachsenen)
076 – 001 Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen
080-002 Besonderheiten des prolongierten Weanings bei Patienten in der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation
080-001 Rehabilitative Therapie bei Armparese nach Schlaganfall
128-001 OL Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung
145-004 Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndrom
155-001 Posttraumatische Belastungsstörung 17
Ziffern der Klassifikation Therapeutischer Leistungen in der Rehabilitation, in denen Künstlerische Therapien oder einzelne Fachrichtungen genannt werden
(Kapitel F Klinische Psychologie, Neuropsychologie):
F681 Musiktherapie einzeln
F682 Tanz- und Bewegungstherapie einzeln
F683 Kunst- und Gestaltungstherapie einzeln
F684 Theatertherapie einzeln
F689 Sonstige künstlerische Therapie einzeln
F691 Musiktherapie in der Kleingruppe
F692 Tanz- und Bewegungstherapie in der Kleingruppe
F693 Kunst- und Gestaltungstherapie in der Kleingruppe
F694 Theatertherapie in der Kleingruppe
F699 Sonstige künstlerische Therapie in der Kleingruppe
F701 Musiktherapie in der Gruppe
F702 Tanz- und Bewegungstherapie in der Gruppe
F703 Kunst- und Gestaltungstherapie in der Gruppe
F704 Theatertherapie in der Gruppe
F709 Sonstige künstlerische Therapie in der Gruppe
Reha-Therapiestandards (RTS), in denen Künstlerische Therapien oder einzelne Fachrichtungen genannt werden:
• Alkohol-Abhängigkeit
• Depressive Störungen
• Brustkrebs
• Schlaganfall
• Kinder und Jugendliche mit Adipositas, Asthma bronchiale oder Neurodermitis
Ziffern des Operationen- und Prozedurenschlüssles (OPS), in denen Künstlerische Therapien oder einzelne Fachrichtungen genannt werden (Stand 2021):
9-401.4 Künstlerische Therapie
9-401.5 Integrierte psychosoziale Komplexbehandlung
9-403 Sozial- und neuropädiatrische Therapie
9-412 Multimodale psychotherapeutische Komplexbehandlung im Liaisondienst
9-60 Regelbehandlung bei psychischen und psychosomatischen Störungen und Verhaltensstörungen bei Erwachsenen
9-61 Intensivbehandlung bei psychischen und psychosomatischen Störungen und Verhaltensstörungen bei Erwachsenen (Nennung als „Kreativtherapie“)
9-62 Psychotherapeutische Komplexbehandlung bei psychischen und psychosomatischen Störungen und Verhaltensstörungen bei Erwachsenen (Nennung als „Kreativtherapie“)
9-63 Psychosomatisch-psychotherapeutische Komplexbehandlung bei psychischen und
psychosomatischen Störungen und Verhaltensstörungen bei Erwachsenen
9-65 Psychiatrisch-psychosomatische Regelbehandlung bei psychischen und psychosomatischen Störungen und Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen
9-67 Psychiatrisch-psychosomatische Intensivbehandlung bei psychischen und psychosomatischen Störungen und Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen
9-68 Psychiatrisch-psychosomatische Behandlung im besonderen Setting (Eltern-Kind-Setting) bei psychischen und psychosomatischen Störungen und Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen 18
8-552 Neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation (nur Musiktherapie)
8-559 Fachübergreifende und andere Frührehabilitation
8-563 Physikalisch-medizinische Komplexbehandlung
8-918 Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie
8-91b Interdisziplinäre multimodale schmerztherapeutische Kurzzeitbehandlung
8-91c Teilstationäre interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie
8-974 Multimodale Komplexbehandlung bei sonstiger chronischer Erkrankung
8-975.2 Naturheilkundliche Komplexbehandlung
8-975.3 Anthroposophisch-medizinische Komplexbehandlung
8-97d Multimodale Komplexbehandlung bei Morbus Parkinson und atypischem Parkinson-Syndrom
8-98e Spezialisierte stationäre palliativmedizinische Komplexbehandlung
8-982 Palliativmedizinische Komplexbehandlung